Neue Impulse für Biotechnologie und Medikamentensuche
Welche Vorteile bietet PETRA IV für die Suche nach neuen Medikamenten?
Das Europäische Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) zählt zu den angesehensten biologischen Forschungszentren der Welt. Seit 1974 betreibt es eine Niederlassung bei DESY, um Forschungsfragen mithilfe intensiver Röntgenstrahlung zu beantworten.
Die von EMBL betriebenen Messstationen – Beamlines genannt – spielen im aktuellen Forschungsprogramm „Von Molekülen zu Ökosystemen“ eine wichtige Rolle, um ausgehend von der molekularen Ebene Ökosysteme zu verstehen und so das Leben in Zusammenhängen zu erforschen.
Die Proteinkristallographie bildet eine wichtige Grundlage für die Entwicklung neuer Pharmaka.
PETRA IV eröffnet dem EMBL neue Perspektiven: Seine drei Messstationen können von dem extrem feinen und gebündelten Röntgenstrahl profitieren. Die Ergebnisse dürften helfen, wirksamere Arzneien zu designen, schneller neue Impfstoffe zu entwickeln und das Maßschneidern von Enzymen zu erleichtern; Enzyme, die beispielsweise Plastikmüll zersetzen können.
Je detaillierter die Struktur eines Proteins bekannt ist, umso besser können Forschende erkennen, wo und wie ein Wirkstoff andocken kann, um zum Beispiel die Funktion eines Proteins zu hemmen.
Auch für die Biotechnologie ist die Proteinkristallographie nützlich: Sie klärt die Gestalt und Beweglichkeit von Enzymen auf – die Grundlage dafür, sie zu verstehen und dann zu effizienten Biokatalysatoren für die Industrie maßzuschneidern.
PETRA IV verspricht deutliche Fortschritte für die Proteinkristallographie
- Die neue Anlage erlaubt mehr Experimente mit hohen Energien, durch die eine hohe Auflösung erreicht werden kann. Selbst einzelne Wasserstoffatome des Proteins werden so erkennbar.
- Der stärker gebündelte Strahl kann kleine Proteinkristalle verbessert messen – wichtig etwa, um die Reaktionen von Enzymen untersuchen zu können.
- Durch den intensiveren Strahl sind Messungen mit besserer Zeitauflösung möglich. Damit lässt sich nachverfolgen, wie die Proteine auf Temperaturerhöhung, Licht oder auf andere Substanzen reagieren, und erlauben so die Untersuchung einer vierten Dimension.
Eine andere Röntgenmethode würde von PETRA IV profitieren – die Röntgenkleinwinkelstreuung. Bei ihr müssen die Proteine nicht in Kristalle gezwängt, sondern können gelöst in einer Flüssigkeit untersucht werden. Das entspricht mehr ihrem natürlichen Zustand.
Durch Veränderungen im gelösten Zustand, etwa Salzgehalt, pH-Wert oder Temperatur – können mithilfe der Röntgenkleinwinkelstreuung Veränderungen in der molekularen Struktur beobachtet werden. Diese Beobachtungen sind ausschlaggebend, um die Funktion des Moleküls zu verstehen. Die Methode ist nicht nur auf Proteine limitiert.
Beispielsweise gelang es dem Mainzer Unternehmen BioNTech gemeinsam mit EMBL, die Gestalt sogenannter Nanolipide zu analysieren. Als Träger der Impfstoffe sind sie Voraussetzung für die Entwicklung und Nutzung moderner mRNA-Impfstoffe.
PETRA IV erlaubt noch genauere Messungen
- Erweiterte Möglichkeiten: Die zu untersuchenden Biomoleküle können unter unterschiedlichen Bedingungen in geringeren Konzentrationen und in kürzerer Zeit als bisher analysiert werden.
- Erhöhte Präzision: Der intensive Röntgenstrahl erlaubt die Analyse von sehr verdünnten Proben.
- Echtzeitbeobachtungen: die hervorragenden Strahleigenschaften erleichtern zeitaufgelöste Messungen mit einer Auflösung von unter einer Millisekunde, wodurch sich beobachten lässt, wie verschiedene Biomoleküle miteinander reagieren.
Ferner könnte ein Verfahren, das das EMBL seit einigen Jahren kontinuierlich weiterentwickelt, von PETRA IV profitieren: Bei der Röntgenbildgebung können Gewebe oder Organismen mit zellulärer Auflösung mit hohem Probendurchsatz abgebildet werden. Bereits jetzt hilft die Technik dabei, den Lebenszyklus des Malaria-Erregers besser zu verstehen und somit langfristig neue Angriffspunkte für Medikamente aufzuspüren. Auch lässt sich beobachten, welche Auswirkungen Schadstoffe und klimabedingte Temperaturerhöhungen auf bestimmte Meeresorganismen haben.
Innovatives 3D-Röntgenmikroskop für sehr viel detailliertere Bilder
- Die Kohärenz der PETRA IV-Strahlung ist größer und damit laserähnlicher – günstig für die Aufnahme extrem kontrastreicher Bilder.
- Auf Färbe- und Kontrastmittel kann bereits jetzt weitgehend verzichtet werden, was die Probenpräparation vereinfacht und die zu untersuchenden Objekte schont. Die Daten von schwach absorbierenden und ungefärbten Proben werden künftig allerdings eine bessere Bildqualität liefern und die Visualisierung der Proben in größerer Detailschärfe erlauben.
- Ziel ist es, vermehrt verschiedenen bildgebenden Methoden zu kombinieren und dafür auch die hochauflösende Röntgenbildgebung benachbarter Messstationen zu nutzen. So lässt sich in einen Bildausschnitt hineinzoomen, nachdem zuvor ein Überblick über eine Probe gewonnen wurde.
Das EMBL möchte den auf zwei Jahre angelegten Umbau zu PETRA IV nutzen, um seine Messstationen zu optimieren und mit modernster Technik zu bestücken, was für die längerfristige Konkurrenzfähigkeit mit anderen Synchrotrons unerlässlich ist.
So soll künftig ein Roboter die zuvor gezüchteten Proteinkristalle direkt an der Beamline per Laser ausschneiden und in die Probenhalterung setzen. Durch eine spezielle Anpassung des neuen Beschleunigerrings können alle drei Stationen an ihren derzeitigen Positionen weiterbetrieben werden.
Damit bleiben auch die Labors zur Probenpräparation und Kristallzüchtung an Ort und Stelle – ein unschätzbarer Vorteil.
Selina Storm
Als Ansprechpartnerin im PETRA IV-Projekt bin ich für Sie da.
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