Neue Impulse für Bio­tech­no­lo­gie und Me­di­ka­men­ten­su­che

Welche Vorteile bietet PETRA IV für die Su­che nach neu­en Me­di­ka­men­ten?

Das Europäische Laboratorium für Mo­le­ku­lar­bio­lo­gie (EMBL) zählt zu den an­ge­seh­en­sten bio­lo­gi­sch­en For­schungs­zen­tren der Welt. Seit 1974 be­treibt es eine Nie­der­las­sung bei DESY, um For­schungs­fra­gen mithilfe intensiver Rönt­gen­strah­lung zu be­ant­wor­ten.

Blick in das Mikroskop: Proteinkristall mit Tryparedoxin, das in Zusammenarbeit mit der Universität Würzburg zur Erforschung der Schlafkrankheit untersucht wird.
Blick in das Mikroskop: Proteinkristall mit Tryparedoxin, das in Zusammenarbeit mit der Universität Würzburg zur Erforschung der Schlafkrankheit untersucht wird. Bild: DESY, Daniel Reinhardt

Die von EMBL betriebenen Mess­stationen – Beamlines genannt – spielen im ak­tu­el­len For­schungs­pro­gramm „Von Mo­le­kü­len zu Öko­sys­te­men“ ei­ne wich­tige Roll­e, um aus­geh­end von der mo­le­ku­lar­en Ebe­ne Öko­sys­teme zu ver­steh­en und so das Le­ben in Zu­sam­men­häng­en zu erforschen.

Die Pro­te­in­kris­tal­lo­gra­phie bil­det ei­ne wich­tige Grund­lage für die Ent­wick­lung neu­er Phar­ma­ka.

PETRA IV er­öff­net dem EMBL neue Pers­pek­ti­ven: Sei­ne drei Mess­sta­tio­nen kön­nen von dem ex­trem fein­en und ge­bün­del­ten Rönt­gen­strahl pro­fi­tier­en. Die Er­geb­nis­se dürf­ten hel­fen, wirk­sam­ere Arz­nei­en zu design­en, schnel­ler neue Impf­stof­fe zu ent­wick­eln und das Maß­schnei­dern von En­zy­men zu er­leich­tern; En­zy­me, die bei­spiels­wei­se Plast­ik­müll zer­set­zen kön­nen.

Forschende, die Veränderungen in ihren Proteinkristallen untersuchen möchten, rastern Mikrokristalle auf sogenannten Chips (oben im Bild) ab.
Forschende, die Veränderungen in ihren Proteinkristallen untersuchen möchten, rastern Mikrokristalle auf sogenannten Chips (oben im Bild) ab. Bild: DESY, Daniel Reinhardt

Je de­tail­lier­ter die Struk­tur ein­es Pro­te­ins be­kannt ist, um­so bes­ser kön­nen For­schen­de er­ken­nen, wo und wie ein Wirk­stoff an­doc­ken kann, um zum Bei­spiel die Funk­ti­on ein­es Pro­te­ins zu hem­men.

Auch für die Biotechnologie ist die Proteinkristallographie nützlich: Sie klärt die Gestalt und Beweglichkeit von Enzymen auf – die Grundlage dafür, sie zu verstehen und dann zu effizienten Biokatalysatoren für die Industrie maßzuschneidern.

PETRA IV wird Messungen insbesondere bei hohen Energien verbessern. Diese resultieren gerade bei kleinen Kristallen in geringeren Strahlenschaden, was Messungen unter lebensnahen Bedingungen vereinfacht.
Selina Storm, EMBL@PETRA IV Programme Manager Bild: DESY, DanielReinhardt

PETRA IV vers­pricht deut­liche Fort­schrit­te für die Pro­te­in­kris­tal­lo­gra­phie

  • Die neue An­la­ge er­laubt mehr Ex­pe­ri­men­te mit ho­hen En­er­gien, durch die ei­ne ho­he Auf­lösung erreicht werden kann. Selbst einzelne Wasserstoffatome des Proteins werden so erkennbar.
  • Der stärker gebündelte Strahl kann kleine Proteinkristalle verbessert messen – wichtig etwa, um die Reaktionen von Enzymen untersuchen zu können.
  • Durch den intensiveren Strahl sind Messungen mit besserer Zeitauflösung möglich. Damit lässt sich nachverfolgen, wie die Proteine auf Temperaturerhöhung, Licht oder auf andere Substanzen reagieren, und erlauben so die Untersuchung einer vierten Dimension.
„Mit PETRA IV wird es neue Im­pul­se für Bio­tech­no­lo­gie und Me­di­ka­ment­suche ge­ben. Mes­sun­gen von kleins­ten Pro­te­in­kris­tal­len ver­bes­sern sich deut­lich und Un­ter­su­chun­gen un­ter real­en, le­bens­na­hen Be­din­gun­gen wer­den ein­fach­er.“
Selina Storm
Selina Storm EMBL@PETRA IV Programme Manager

Ei­ne an­de­re Rönt­gen­me­tho­de wür­de von PETRA IV profitieren – die Rönt­gen­klein­win­kel­streu­ung. Bei ihr müss­en die Pro­te­ine nicht in Kris­tal­le ge­zwängt, son­dern kön­nen ge­löst in ein­er Flüs­sig­keit un­ter­sucht wer­den. Das ent­spricht mehr ihr­em na­tür­lich­en Zu­stand.

Durch Ver­än­der­ung­en im ge­lös­ten Zu­stand, et­wa Salz­ge­halt, pH-Wert oder Tem­per­atur – kön­nen mit­hil­fe der Rönt­gen­klein­win­kel­streu­ung Ver­än­der­ung­en in der mo­le­ku­lar­en Struk­tur be­ob­acht­et wer­den. Die­se Be­ob­acht­ung­en sind aus­schlag­geb­end, um die Funk­ti­on des Mo­le­küls zu ver­steh­en. Die Me­tho­de ist nicht nur auf Pro­te­ine li­mi­tiert.

EMBL-Messstation P14.EH2 oder T-REXX (Time-resolved experiments with crystallography), auf Deutsch: Zeitaufgelöste Kristallographie-Experimente. In Zusammenarbeit mit der Universität Hamburg werden die Reaktionen von Proteinen auf Licht, Temperatur oder kleine Moleküle zeitaufgelöst untersucht.
EMBL-Messstation P14.EH2 oder T-REXX (Time-resolved experiments with crystallography), auf Deutsch: Zeitaufgelöste Kristallographie-Experimente. In Zusammenarbeit mit der Universität Hamburg werden die Reaktionen von Proteinen auf Licht, Temperatur oder kleine Moleküle zeitaufgelöst untersucht. Bild: DESY, Daniel Reinhardt

Beispielsweise gelang es dem Mainzer Unternehmen BioNTech gemeinsam mit EMBL, die Gestalt sogenannter Nanolipide zu analysieren. Als Träger der Impfstoffe sind sie Voraussetzung für die Entwicklung und Nutzung moderner mRNA-Impfstoffe.

BioNTech untersuchte an dieser Beamline P12 in Kooperation mit der Universität Mainz Nanolipide, die Träger des berühmten mRNA-Impfstoffs.
BioNTech untersuchte an dieser Beamline P12 in Kooperation mit der Universität Mainz Nanolipide, die Träger des berühmten mRNA-Impfstoffs. Bild: DESY, Daniel Reinhardt

PETRA IV erlaubt noch genauere Messungen

  • Erweiterte Möglichkeiten: Die zu untersuchenden Biomoleküle können unter unterschiedlichen Bedingungen in geringeren Konzentrationen und in kürzerer Zeit als bisher analysiert werden.
  • Erhöhte Präzision: Der intensive Röntgenstrahl erlaubt die Analyse von sehr verdünnten Proben.
  • Echtzeitbeobachtungen: die hervorragenden Strahleigenschaften erleichtern zeitaufgelöste Messungen mit einer Auflösung von unter einer Millisekunde, wodurch sich beobachten lässt, wie verschiedene Biomoleküle miteinander reagieren.

Ferner könnte ein Verfahren, das das EMBL seit einigen Jahren kontinuierlich weiterentwickelt, von PETRA IV profitieren: Bei der Röntgenbildgebung können Gewebe oder Organismen mit zellulärer Auflösung mit hohem Probendurchsatz abgebildet werden. Bereits jetzt hilft die Technik dabei, den Lebenszyklus des Malaria-Erregers besser zu verstehen und somit langfristig neue Angriffspunkte für Medikamente aufzuspüren. Auch lässt sich beobachten, welche Auswirkungen Schadstoffe und klimabedingte Temperaturerhöhungen auf bestimmte Meeresorganismen haben.

Innovatives 3D-Röntgenmikroskop für sehr viel detailliertere Bilder

  • Die Kohärenz der PETRA IV-Strahlung ist größer und damit laserähnlicher – günstig für die Aufnahme extrem kontrastreicher Bilder.
  • Auf Färbe- und Kontrastmittel kann bereits jetzt weitgehend verzichtet werden, was die Probenpräparation vereinfacht und die zu untersuchenden Objekte schont. Die Daten von schwach absorbierenden und ungefärbten Proben werden künftig allerdings eine bessere Bildqualität liefern und die Visualisierung der Proben in größerer Detailschärfe erlauben.
  • Ziel ist es, vermehrt verschiedenen bildgebenden Methoden zu kombinieren und dafür auch die hochauflösende Röntgenbildgebung benachbarter Messstationen zu nutzen. So lässt sich in einen Bildausschnitt hineinzoomen, nachdem zuvor ein Überblick über eine Probe gewonnen wurde.
Roborterarm MARVIN ist Bestandteil des Crystal Harvesters, der Kristalle aus den Probenplatten herausschneidet und automatisch in Probenhalter unter flüssigem Stickstoff montiert.
Roborterarm MARVIN ist Bestandteil des Crystal Harvesters, der Kristalle aus den Probenplatten herausschneidet und automatisch in Probenhalter unter flüssigem Stickstoff montiert. Bild: DESY, Daniel Reinhardt

Das EMBL möchte den auf zwei Jahre angelegten Um­bau zu PETRA IV nut­zen, um seine Mess­stationen zu op­ti­mie­ren und mit mo­derns­ter Tech­nik zu be­stü­cken, was für die län­ger­fris­tige Kon­kur­renz­fä­hig­keit mit an­de­ren Syn­chro­trons un­er­läss­lich ist.

So soll künftig ein Roboter die zuvor gezüchteten Proteinkristalle direkt an der Beamline per Laser ausschneiden und in die Probenhalterung setzen. Durch eine spezielle Anpassung des neuen Beschleunigerrings können alle drei Stationen an ihren derzeitigen Positionen weiterbetrieben werden.

Damit bleiben auch die Labors zur Probenpräparation und Kristallzüchtung an Ort und Stelle – ein unschätzbarer Vorteil.

 

 

Portrait-Foto von Selina Storm
EMBL@PETRA IV Programme Manager

Selina Storm

Als Ansprechpartnerin im PETRA IV-Projekt bin ich für Sie da. 

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